Leistungsvermögen war die Währung des 20. Jahrhunderts, Spielvermögen ist jene des aktuellen, bin ich überzeugt. Weshalb?
Routinetätigkeiten verlangten nach Leistung
Die Industrialisierung schuf ein reiches Angebot an Tätigkeiten, die mit Hilfe einer Schritt-für-Schritt-Anleitung ausgeführt werden konnten. Setze dich vor die Abkantmaschine. Nimm aus der Palette zu deiner Rechten einen Blechstreifen. Schiebe den Blechstreifen in die Maschine, ganz nach hinten an den Anschlag. Drücke das Fusspedal. Lasse das Pedal los. Schiebe des abgekantete Blech wieder nach hinten an den Anschlag. Drücke das Fusspedal. Lasse das Pedal los. Schiebe das entstandene U-Profil nach links in die Palette. Nimm aus der Palette zu deiner Rechten den nächsten Blechstreifen und beginne von vorne.
Zugegeben, längst nicht alle Jobs im 20. Jahrhundert fühlten sich so stumpf an. Viele liessen sich aber durch Schritt-für-Schritt-Anleitungen befolgen. Verwaltungstätigkeiten. Berufe im Transportwesen. In der Industrie sowieso. Teilweise gar handwerkliche Arbeiten.
Für die Arbeitenden in diesen Jobs mit hohem Anteil an Routinetätigkeit galt: Sie waren ersetzbar. Jemand anders konnte leicht die Routine erlernen. Weiter galt für sie: Ihre erbrachte Leistung war messbar. Das Management kannte exakt den Wert, wie lange ein Mitarbeiter für ein U-Profil durchschnittlich benötigte. 5 Sekunden. Benötigte jemand 7, wurde er ersetzt. Leistung war die Währung, die zählte. Wettbewerb die logische Folge. Und damit die Einteilung in Gewinner und Verlierer.
Den Menschen brechen die Routinetätigkeiten weg
Routinen können Algorithmen beigebracht werden. Und Algorithmen können in Maschinen eingebaut werden. In eine Abkantmaschine. Einen PC. Ein Auto. Den Kampf um die Leistung verlieren die Menschen grösstenteils. Gewinner sind die Maschinen. Für immer mehr Tätigkeiten eignen sie sich besser. Sie arbeiten präziser. Schneller. Wartungsärmer. Und vor allem: billiger.
Der Trend weg von Routinetätigkeiten lässt sich belegen, wie ich in diesem Artikel über die Auswirkungen der digitalen Transformation auf Lernen und Arbeiten aufzeige.
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Arbeiten wird spielerisch
Vier Gründe lassen mich die These formulieren, dass Arbeiten spielerisch wird.
1
Wie obige Grafiken zeigen, brechen den Menschen nicht alle Tätigkeiten weg, sondern vor allem Routinetätigkeiten. In anderen Segmenten nimmt das Jobangebot sogar zu. Gefragt sind Tätigkeiten mit hohen Anforderungen an Problemlösefähigkeit und Kreativität. Weiterhin gefragt bleiben Tätigkeiten, die ausgeprägte Sozialkompetenzen verlangen, etwa im Gesundheitswesen. Problemlösefähigkeit, Kreativität, Sozialkompetenzen sind Fähigkeiten zum Spielen. Die andersrum durch Spielen hervorragend gefördert werden können. Ganz besonders beim freien Spiel.
2
Probleme lösen erfordert eine höhere Selbständigkeit als Anleitungen befolgen. Genau wie im Spiel, wo wir selbständig Herausforderungen meistern. Selbständig ausprobieren ist das Gebot der Stunde.
3
Routine gibt den Menschen Sicherheit, oder zumindest ein Gefühl von Sicherheit. Nach einer Einarbeitungsphase können sie die Routine ausführen. Herausforderungen, Unbekanntes gibt es kaum. Bei ganz stumpfen Tätigkeiten besteht die einzige Herausforderung darin, sich um 12.00 Uhr und um 17.00 Uhr möglichst weit vorne in der Menschenschlange vor der Stempeluhr eingereiht zu haben. Problemlösetätigkeiten hingegen fordern heraus. Der Lösungsweg ist unbekannt. Genauso ist es beim Spielen.
4
In der industrialisierten Gesellschaft wollten Menschen alles planen und kontrollieren. Nicht zuletzt deswegen war die Arbeit stark hierarchisch organisiert – sie wurde Top down geplant und kontrolliert. Die digital geprägte Kommunikation führt zu einer immer dynamischeren Entwicklung. Längerfristige Top-Down-Planung ist kaum mehr möglich. Wir müssen mit dem Unbekannten, dem Nicht-Planbaren leben können. Und genau dies ist Teil eines jeden Spiels. Wäre ein Spiel planbar, wäre es langweilig. Dank Spielen üben wir mit dem Unvorhersehbaren umzugehen – und es zu geniessen!
EIN SPIEL IST EINE SELBSTBESTIMMTE HERAUSFORDERUNG MIT DOMINIERENDEM IMMANENTEM ZIEL.
Ein Spiel kann als selbstbestimmte Herausforderung betrachtet werden, deren Ziel in der Tätigkeit selber liegt. Die also Spass bereitet. Was den Menschen Spass bereitet, was ihn herausfordert, kann nur das Individuum für sich entscheiden. Intrinsische Motivation ist das Stichwort.
Vertiefender Artikel: Das Geheimnis hinter der Magie des Spielens (und des Lebens)
Indem die Berufstätigkeit herausfordert, weil Probleme kreativ gelöst werden müssen, gelten für die Arbeit vermehrt die Gesetze des Spielerischen. Leistung interessiert nicht mehr. Dafür sind immer mehr Computer und Roboter zuständig. Im Vorteil ist im 21. Jahrhundert, wer sich auf das Spielerische einlassen kann. Wer Probleme kreativ lösen kann. Wer Mitspieler zu einem gemeinsamen Spiel motivieren kann. Wer selbständig handeln kann und eigene Lösungswege findet. Wer sich in der Unsicherheit des Spiels wohlfühlt. Spielvermögen ist die Währung der digital geprägten Zeit.
Das gibt ganz neue Voraussetzungen. Für das Arbeiten, aber auch für die Ausbildung. Im Bildungswesen geht der Trend vielerorts in die entgegengesetzte Richtung. Die Informationsflut steigt weiter, immer mehr "Lerninhalte" sollen in der Schule vermittelt werden. Aktuell werden Lehrpläne um Medienbildung und Informatik ergänzt. Teilweise zulasten anderer Fächer. Teilweise zulasten der Freizeit der Schülerinnen und Schüler. Seit Jahrzehnten nimmt die Zeit für freies Spielen stetig ab [Gray 2011]. Stattdessen wird mehr Leistung verlangt.
Dabei müssten die Kinder und Jugendlichen gar nicht mehr auf eine Leistungsgesellschaft vorbereitet werden. Was zählt, ist nicht mehr das Erbringen von Leistung, sondern das Spielvermögen. Menschen können in ihren natürlichen Zustand zurückkehren und wieder zum spielenden Menschen, zum Homo Ludens, werden.
Literatur
[Autor et al. 2003] Autor, D. H., Levy, F., & Murnane, R. J. (2003). The skill content of recent technological change: An empirical exploration. The Quarterly Journal of Economics, 118(4), 1279–1333.
[Gray 2011] Gray, P. (2011). The Decline of Play and the Rise of Psychopathology in Children and Adolescents. American Journal of Play, 3(4), 443–463.
[Seco 2017] seco. (2017). Kurzfassung: Auswirkungen der Digitalisierung auf Beschäftigung und Arbeitsbedingungen – Chancen und Risiken. seco.
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