Die digitale Transformation bringt neue Spielregeln mit sich. Wir haben vier Möglichkeiten, damit umzugehen und unser Leben zu gestalten. Ich zeige Vor- und Nachteile auf.
Toolset – Ruleset – Skillset – Mindset
In Digitale Transformation - Kern des aktuellen Gesellschaftswandels habe ich die Veränderungen beschrieben, die das Digitale mit sich bringt – aus Sicht der Medientheorie, der Informatik und des Arbeitsmarktes.
Simon Dueckert unterteilt die Komponenten einer Gesellschaft in Werkzeuge (Toolset), notwendige Fähigkeiten, um diese zu nutzen (Skillset) und die dazu passende Haltung (Mindset).[1]
Meistens werden nur das Toolset und Skillset berücksichtigt. So wird moderne Infrastruktur angeschafft und Menschen werden weitergebildet, um diese zu nutzen. Aber die Denkweise bleibt unverändert. Mit anderen Worten: Die neuen Werkzeuge werden so genutzt, wie zuvor die alten. In der Analogie könnte das ein zum Taxifahrer umgesattelter Kutscher sein, der Fahrgäste maximal zur übernächsten Ortschaft mitnimmt, obwohl er mit dem Auto eine viel grössere Reichweite hätte als mit dem Pferd. Das klingt absurd, ist aber in der heutigen Zeit Realität: Die Firma, die zwar mit blitzschneller Internetverbindung ausgestattet ist, aber noch immer Anwesenheitspflicht hat, obwohl viele Arbeiten von überall aus verrichtet werden könnten. Die Behörde, die PDF-Formulare verschickt und dann die ausgefüllten Daten in ein digitales System eintippt, obwohl sie die Daten mit einem Web-Formular erfassen und von dort automatisiert in ihr System übertragen lassen könnte. Die Schule, die zwar ein Fach Medien & Informatik eingeführt hat, aber junge Menschen noch immer fremdbestimmt auf Leistung trimmt, obwohl heute eine spielerische Haltung gefragt ist.
Was die digitalen Werkzeuge betrifft, ist das erst der Anfang, mit passendem Mindset ist noch weit mehr möglich!
Toolset, Skillset, Mindset. Ich ergänze Simon Dueckerts Set von Sets durch ein weiteres, wesentliches Set: die gesellschaftlichen Spielregeln, also das Ruleset.
Toolset: Das ist neu
Das Toolset besteht immer aus bestehenden Technologien, die durch neue ergänzt werden. Welche neuen Werkzeuge bringt das Digitale mit sich?
Computer: Geräte in unterschiedlichen Formaten erlauben es, Daten zu erfassen und verarbeiten. Diese Geräte werden durch Algorithmen gesteuert. Datensammlungen können bequem durchsucht werden und Daten beinahe kostenlos vervielfältigt, miteinander verknüpft und verarbeitet. Das erleichtert beispielsweise administrative Abläufe.
Internet: Das Internet setzt auf Computertechnologie auf, hat aber gesellschaftsverändernden Charakter und verdient deshalb, gesondert betrachtet zu werden. Das Internet ist ein digitales Netzwerk, das Computer miteinander verbindet und damit auch die Menschen und Geräte ("Internet der Dinge"), die mit diesen Computern verbunden sind. Es ermöglicht etwa die sehr kostengünstige und potenziell sehr schnelle Verteilung von Informationen, aber auch individuellen Austausch.
Roboter: Roboter verknüpfen mechanische Technologien mit Computertechnologie. Das erlaubt, mechanische Bewegungen durch Algorithmen zu steuern. So können industrielle Maschinen mehr Arbeitsschritte übernehmen oder Autos und Züge selbst fahren.
Weitere Technologien: Basierend auf die Rechenmöglichkeiten von Computern, auf die Vernetzung über das Internet und mechanischer Bewegung entstehen laufend neue Technologien mit teilweise bedeutendem Potenzial wie etwa Künstliche Intelligenz oder die Blockchain.
Ruleset: Das ist neu
Der Blick auf die nackte Technologie kratzt nur an der Oberfläche dessen, was sie verändert.
Wir können fast beliebig herauszoomen und erkennen immer mehr Dinge, die sich mit diesen Technologien ändern. Beispielsweise befördert das Internet die Globalisierung, indem es Menschen aus aller Welt miteinander verknüpft. Oder es beschleunigt ungemein, weil Informationen beinahe ohne Verzögerung weltweit ausgeliefert werden können. Oder es erleichtert es stark, sich auf Basis der persönlichen Einzigartigkeit selbständig zu machen. Weshalb? Weil mit jeder Einzigartigkeit ein ganz spezifisches Problem gelöst werden kann, das Internet die Grenzen des Lokalen überwindet und potenzielle Kunden aus aller Welt auf ein solch spezifisches Angebot aufmerksam werden können (Long Tail).
Wenn wir ganz hinauszoomen, stossen wir zum Kern der Veränderungen: dem gesellschaftlichen Paradigma, also wonach die meisten Menschen streben, woran sie sich orientieren. Unter Digitale Transformation - Kern des aktuellen Gesellschaftswandels habe ich erklärt, wie sich das Paradigma ändert. Bislang ging es darum, Leistungsanforderungen von anderen gerecht zu werden, um dann die erhoffte Belohnung in Form von guten schulischen Bewertungen oder einem Lohn im Erwerbsleben abzuholen. Das brachte eine starke Fremdbestimmung mit sich. Neu streben Menschen danach, ihre Einzigartigkeit zu leben. Das ist der natürliche Zustand des Menschen – es gibt keinen Grund mehr, sich in die Fremdbestimmung drängen zu lassen.
Somit entstehen neue gesellschaftliche Spielregeln. Bislang setzten die Spielregeln deutliche Anreize, sich in eine Norm zu finden, Kinder in eine fremdbestimmende Schule zu schicken, sie anschliessend eine möglichst gute Berufsbildung oder eine weiterführende Schule wählen zu lassen, so dass sie sich letztlich in ein ebenso fremdbestimmendes, hierarchisches und wettbewerbsorientiertes Erwerbsleben einfügen.
Dieses Vorgehen ist immer weniger zielführend. Neu setzen die Spielregeln Anreize, Kinder ihre Einzigartigkeit ausleben zu lassen, so dass sie sich später eine Erwerbstätigkeit gestalten können, die zu ihnen passt. Gefragt ist individuelle Buntheit statt grauer Norm.
Zusammengefasst lassen sich die künftigen Spielregeln – die Spielregeln des Homo Ludens (des spielenden Menschen) – den bisherigen – den Spielregeln des Homo Fabers (des arbeitenden Menschen) – wie folgt gegenüberstellen:
Mit Spielorientierung ist eine Orientierung am eigenen Spiel des Lebens gemeint. Im Detail gehe ich unter Was ist Spielen? auf das Spielen ein. An dieser Stelle reicht der Hinweis, dass ein Spiel eine selbstbestimmte Herausforderung ist, bei der der Weg das Ziel ist. Wer sich also am persönlichen Spiel des Lebens orientiert, folgt dem inneren Drang, dem inneren Kompass.
Erst wenn wir die veränderten Spielregeln mit berücksichtigen, lassen sich das passende Mindset und das notwendige Skillset ableiten.
Mindset: Das ist neu
Der Paradigma-Wechsel von einer fremdbestimmten Leistungsorientierung zu einer selbstbestimmten Spielorientierung macht ein Mindset notwendig, das uns nicht mehr auf das Aussen, sondern auf das Innen fokussieren lässt.
Wir müssen uns nicht mehr überlegen, was andere von mir denken. Es geht nicht mehr darum, uns daran zu orientieren, was andere tun. Und schon gar nicht, welche Leistungserwartungen andere an uns haben.
Stattdessen müssen wir unser Leben so leben, wie wir es leben möchten. Wir dürfen authentisch sein.
Dasselbe Recht gilt natürlich für andere. Wir dürfen uns davon lösen, zu definieren, was Kinder wann lernen sollen, sondern können sie ihrem inneren Kompass folgen lassen.
Wir müssen Kinder nicht erziehen, sondern begleiten. Dazu müssen wir unsere Vorstellungen loslassen und vertrauen, dass die Kinder ihren Weg finden.
Wir dürfen uns auch aus hierarchischen Mustern lösen. Wir müssen nicht festlegen, was andere tun sollen. Stattdessen können wir Menschen als Wesen mit eigenem Willen und eigenem inneren Kompass betrachten.
Das Mindset ist ein grosses Thema, dem ich gerne ausreichend Platz einräume. Unter Homo Ludens - der neue Mensch stelle ich Glaubenssätzen der bisherigen Gesellschaft neue Glaubenssätze gegenüber, die meiner Meinung nach optimal zu den neuen Spielregeln passen.
Skillset: Das ist neu
Betrachten wir die gesellschaftlichen Veränderungen nur oberflächlich, machen die digitalen Werkzeuge Kompetenzen notwendig wie Informationen recherchieren und beurteilen, Medienerzeugnisse produzieren und präsentieren, digital vermittelt kooperieren und kommunizieren, Datenstrukturen verstehen, Algorithmen entwickeln können.
Verschiedene Institutionen und Autoren haben Skills für die digital geprägte Gesellschaft zusammengestellt. Aus der Wirtschaft stammt die 4K-Formel: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. Weitere Auflistungen stammen etwa von Davies [2], Hartmann u. Hundertpfund [3] sowie Trilling u. Fadel [4]. Die meisten dieser Zusammenstellungen basieren auf den Glaubenssätzen der bisherigen gesellschaftlichen Spielregeln.
Etwas tiefer geht die Auflistung eines Teams um Henry Jenkins, Professor am MIT:
- "Spiel: Die Fähigkeit, mit dem Umfeld zu experimentieren als eine Form des Problemlösens.
- Darbietung: Die Fähigkeit, alternative Identitäten zum Zweck der Improvisationen und des Entdeckens anzunehmen.
- Simulation: Die Fähigkeit, dynamische Modelle von Prozessen der realen Welt zu interpretieren und konstruieren.
- Aneignung: Die Fähigkeit, Medieninhalte zu zerlegen und etwas Sinnvolles daraus herzustellen.
- Multitasking: Die Fähigkeit, die Umgebung zu durchsuchen und auf markante Details zu fokussieren.
- Verteilte Kognition: Die Fähigkeit, sinnvoll mit Werkzeugen zu interagieren, die die mentalen Kapazitäten erweitern.
- Kollektive Intelligenz: Die Fähigkeit, hinsichtlich eines gemeinsamen Zieles Wissen mit anderen zu bündeln und zu vergleichen.
- Beurteilung: Die Fähigkeit, die Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit von verschiedenen Informationsquellen zu evaluieren.
- Transmedia-Navigation: Die Fähigkeit, dem Fluss von Geschichten und Informationen über mehrere Modalitäten zu folgen.
- Vernetzung: Die Fähigkeit, Informationen zu suchen, zu synthetisieren und zu verbreiten.
- Verhandlung: Die Fähigkeit, sich in verschiedenen Gemeinschaften zu bewegen, unterschiedliche Perspektiven zu erkennen und zu respektieren sowie alternative Normen zu befolgen."[5]
Aus Perspektive der neuen Spielregeln dürften zusätzliche Kompetenzen wichtig sein, beispielsweise Verspieltheit, Ergebnisoffenheit praktizieren, dem inneren Kompass vertrauen, das Unterbewusste wahrnehmen und das Unbekannte geniessen zu können.
Auch die Kompetenzen in den anderen Auflistungen dürften wichtig sein. Aber wer etwa nicht dem inneren Kompass vertraut oder nicht ergebnisoffen handelt, wird es schwer haben, das Leben nach den neuen Spielregeln zu gestalten.
4 Reaktionsmöglichkeiten
Wie können wir auf das Neue reagieren?
- Wir können entscheiden, wie stark wir das neue Toolset, vor allem Computer und Internet verwenden wollen. Alles ist möglich, von ganz ignorieren bis zur vollen Ausreizung. Doch selbst wenn wir Computer und Internet vermeiden: Deren Auswirkungen bekommen wir trotzdem zu spüren. Die Informationen nehmen neue Wege, sie fliessen rascher, viele Menschen haben weniger Zeit, alte Technologien und Dienstleistungen wie etwa Telefonzellen oder Auskunftsdienst werden eingestellt.
- Das hat Auswirkungen auf das Ruleset: Die Gesellschaft beginnt anders zu funktionieren. Die Globalisierung verstärkt sich genauso wie die Beschleunigung, um nur zwei Beispiele zu nennen. Uns bleibt kaum eine Wahl: Das Digitale bestimmt immer mehr unser Leben, selbst wenn wir es mit aller Macht ignorieren.
- Unser Mindset wiederum können wir aktiv formen. Zwar geschieht ein Mindset-Wechsel nicht von heute auf morgen. Doch es liegt an uns, wie offen wir sind für neue Glaubenssätze oder wie stark wir sie von uns fernhalten und gar nicht erst prüfen.
- Es bleibt noch das Skillset. Dieses ist an das Toolset und das Mindset gekoppelt. Wenn wir das digitale Toolset ablehnen, werden wir auch nicht die Fähigkeiten und Kompetenzen entwickeln, damit umzugehen. Wenn wir das digitale Toolset nutzen wie vorher das mechanische, werden andere Kompetenzen im Vordergrund stehen, als wenn wir beginnen, neu zu denken. Entscheiden können wir lediglich über den Lernweg und die Lerntiefe. Die einen lernen lieber im Sinne von Learning by Doing. Die anderen bevorzugen ein strukturiertes Lernangebot, zum Beispiel einen Kurs. Die einen sind zufrieden, wenn sie bei Google Stichworte eingeben und halbwegs brauchbare Resultate erhalten, die anderen möchten die Suchmaschine vertieft verstehen und so noch schneller zu noch besseren Resultaten gelangen.
Somit bleiben zwei Dimensionen, bei denen wir uns positionieren können und dies grössere Auswirkungen hat: das Toolset und das Mindset. Die beiden Dimensionen sind unabhängig voneinander. Wir können Poweruser bei der Nutzung des digitalen Toolsets und trotzdem mit alten Sichtweisen unterwegs sein.
Aus den beiden Dimensionen ergeben sich vier Möglichkeiten, mit dem Neuen umzugehen.
Der graue Pfeil macht deutlich, dass die Gesellschaft sich vom mechanisch-industrialisierten Zeitalter ins digital geprägte Zeitalter bewegt.
Betrachten wir einige Eigenschaften und Auswirkungen der beiden Dimensionen.
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Mechanisches vs. Digitales Toolset
Eine detaillierte Analyse des Mechanischen und Digitalen findest du unter Digitale Transformation - Kern des aktuellen Gesellschaftswandels. An dieser Stelle möchte ich lediglich einige Eigenschaften und Auswirkungen ins Gedächtnis rufen.
Das Toolset des industriell geprägten Zeitalters lässt sich durch die drei Stichworte Mechanik, Maschinen und Fabriken beschreiben. Die Maschinen verlangten nach Normierung und der Umgang mit Maschinen nach Arbeitsteilung. Die Produktion konnte dank der Maschinen beschleunigt und vergünstigt werden.
Das Toolset des digital geprägten Zeitalters lässt sich durch die drei Stichworte Computer, Internet und Roboter beschreiben. Computer führen zu Automatisierung und das Internet zu Vernetzung. Die Nutzung von Computern, Internet und Robotern führt zu einem weiteren Beschleunigungs-Schub.
Mechanisches vs. Digitales Mindset
Im industriell geprägten Zeitalter führten Fabriken und Arbeitsteilung zu Lohnarbeit in hierarchisch organisierten Unternehmen und somit für viele zu einer ausgeprägten Fremdbestimmung und zu einer Orientierung an Leistungsanforderungen Dritter (Leistungsorientierung). Die Folgen waren Wettbewerb sowohl um Arbeitsstellen als auch um Marktanteile sowie kostengünstige Produkte und somit gestiegener Konsum. Die Fremdbestimmung führte aber auch zu einer innerer Leere und dadurch zu einem zusätzlichen Bedürfnis nach Konsum, diesmal als Ersatzbefriedigung.
Im digital geprägten Zeitalter übernehmen Computer und Roboter viele Routinetätigkeiten. Den Menschen bleiben Tätigkeiten, die Computer und Roboter schlecht verrichten können. Das sind einerseits Tätigkeiten mit hohen Anforderungen an Kreativität, Problemlösefähigkeit und Sozialkompetenz und andererseits handwerkliche Tätigkeiten, die sich schlecht in Routineabläufe giessen lassen. Besonders die Kreativität verlangt nach Selbstbestimmung und das wiederum zu selbstorganisierten Formen der Zusammenarbeit.
In die gleiche Richtung stösst das Internet vor. Es sprengt den lokalen Raum und bietet die Möglichkeit, Menschen mit einem ganz spezifischen Bedürfnis zu finden, dieses zu befriedigen und sich so selbständig zu machen. Ausserdem können wir uns mit anderen selbständig Erwerbenden vernetzen und kooperieren. Wir können uns also mit unserer Einzigartigkeit und einem dazu passenden spezifischen Angebot einen ebenso spezifischen Kundenstamm erarbeiten. Das führt zu einem erfüllenden Gefühl - denn wir "erfüllen" unsere Veranlagung - aber auch zu einem tatsächlichen Nutzen und nicht zu Produkten, die nur für Menschen von Interesse sind, die auf übermässigen Konsum fokussiert sind.
Betrachten wir die vier Möglichkeiten, die sich aus den beiden Dimensionen Toolset und Mindset ergeben, im Detail:
Variante 1 - Altes Denken, Altbewährtes beibehalten
Stell dir vor, du spielst Tennis. Doch nach und nach werden die Regeln vom Tischtennis übernommen. So musst du plötzlich nicht mehr über das Kreuz aufschlagen, sondern kannst den ersten Ball auf einen beliebigen Punkt auf der anderen Seite des Netzes hämmern. Dein Gegner natürlich auch. Das gibt ein ziemlich fahriges, stressiges Spiel, das wohl sehr schnell keinen Spass mehr bereitet.
Wenn wir aus der Analogie wieder auftauchen, bedeutet das im Extrem, dass du Computer, Smartphones und Internet komplett ignorierst. Dein Leben wird stressig.
Du entscheidest dich für eine Weiterbildung. Passende Anbieter präsentieren sich online - unerreichbar für dich.
Nach vielen Telefonaten hast du dich für ein Weiterbildungsinstitut entschieden und startest die Weiterbildung. Die Anreise entpuppt sich als nächste Herausforderung. Der kleine Bahnhof in deiner Ortschaft hat keinen Schalter mehr, an dem du eine Fahrkarte kaufen kannst. Smartphone hast du keins, den Automaten magst du auch nicht nutzen, der hat ja auch einen Bildschirm und sieht aus wie ein Computer. Du musst mit dem Fahrrad oder dem Auto zu einem grösseren Bahnhof fahren.
Geschafft! Dann der nächste Schreck: Die Unterlagen für deine Weiterbildung werden nicht ausgedruckt abgegeben, sondern auf einer Plattform im Internet zur Verfügung gestellt. Du fühlst dich ausgeschlossen.
Die neuen Technologien komplett zu ignorieren, geht fast nicht mehr. Das Leben würde zu kompliziert. Realistisch ist deshalb eher ein teilweiser Verzicht. Doch selbst dann sind die Möglichkeiten eingeschränkt. Ein Grossteil der Arbeitswelt wird dir verschlossen sein.
Bei Variante 1 ignorierst du nicht nur die neuen Technologien, sondern denkst auch in alten Mustern. Hierarchien sind dir wichtig. Du erziehst deine Kinder zum Gehorsam, schreckst auch von physischen Strafen nicht zurück. Als Kadermitglied forderst du am Arbeitsplatz Respekt und Gehorsam. Du selbst gehorchst den Vorgaben deiner Vorgesetzten wie auch jener deiner Kirche, ohne sie zu hinterfragen. Du erscheinst zunehmend als Relikt einer vergangenen Zeit. Es ist eine Frage der Zeit, bis zu entlassen wirst oder bis du als Firmeninhaber in Konkurs gehen musst.
Dieses Verharren im mechanischen Mindset bedeutet auch Fremdbestimmung sowie ein Fokus auf Geld und Status. Ein sicherer Job ist dir wichtiger als berufliche Erfüllung. Wie wir gesehen haben, führt das zu einer inneren Leere. Eine Leere, die beispielsweise durch Konsum versucht wird zu füllen.
Variante 2 - Altes Denken, neue Möglichkeiten nutzen
Inzwischen hast du gemerkt, dass Tischtennis mit den neuen Werkzeugen besser funktioniert. Du hast den Tennisball durch einen Tischtennisball ersetzt, den Tennisschläger durch einen Tischtennisschläger und den Tennisplatz durch einen Tischtennistisch.
Doch du spielst noch auf die selbe Art und Weise wie du früher Tennis gespielt hast. Beim Aufschlag triffst du den Tischtennisball über deinem Kopf. Der Ball springt deshalb hoch - eine wundervolle Vorlage für deinen Gegner, der den Ball zurück auf deine Tischhälfte schmettert. Für dich bedeutet das Stress pur.
Du erwischt kaum einen dieser Schmetterbälle. Da du vom Tennis gewohnt bist, viele Bälle doppelhändig zu schlagen, tust du das auch mit dem Tischtennisschläger. Dadurch handelst du dir einen weiteren Nachteil ein. Noch mehr Stress, noch mehr Frust.
Du verwendest also die neuen Werkzeuge, hast ein Smartphone und einen Laptop, nutzt digitale Netzwerke, Messenger und verschiedene andere Apps. Doch du orientierst dich weiterhin am Paradigma der industrialisierten Zeit. Lohnarbeit ist für dich genauso normal wie das Einfügen in einer Hierarchie. Vieles stört dich zwar bei deiner Arbeit, doch du schweigst, aus der unbewussten Angst, dich unbeliebt zu machen oder gar deine Arbeit zu verlieren.
Sowieso: Angst ist dein leitendes Gefühl. Du fühlst dich den gesellschaftlichen Normen verpflichtet aus Angst, als Aussenseiter zu gelten. Du hältst deine Kinder zum schulischen Lernen an, aus Angst, sie hätten schlechte berufliche Zukunftsperspektiven. Du besuchst fleissig Weiterbildungen und sammelst Diplome, aus Angst, deine Karriere zu gefährden.
Deine Kinder besuchen die öffentliche Schule und sind dort der Fremdbestimmung ausgesetzt. Zu Hause erhalten sie ähnliches Gedankengut mit auf den Weg. Sie haben sich von sich und ihren authentischen Bedürfnissen entfernt und gelernt, dass die Erwartungen, die Erwachsene an sie haben, wichtiger sind als die eigenen Bedürfnisse. Ihr Fokus liegt deshalb im Aussen. Das schlägt sich beispielswesie bei der Nutzung von Social Media nieder. Es ist ihnen wichtig, wie sie sich dort darstellen und wie sie wahrgenommen werden.
Das alles tust du in einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint.
Die Folgen: Fremdbestimmung und Innere Leere, Stress und Burnout.
Variante 3 - Neues Denken, altbewährte Werkzeuge beibehalten
Du spielst Tischtennis, richtig Tischtennis mit Bewegungsabläufen, die auf dieses Spiel zugeschnitten sind. Doch du spielst mit einem Küchenbrett. Deine Füsse stecken in schweren Arbeitsschuhen.
Dein Gegner hingegen spielt in Turnschuhen, die speziell für Tischtennisspielende entwickelt wurden und mit einem modernen Schläger, der perfekt auf seine Spielveranlagung zugeschnitten ist. Er ist leichtfüssig unterwegs und schlägt die Bälle mit starkem Spin.
Deine Möglichkeiten auf sein Spiel zu reagieren sind limitiert. Du fühlst dich oft überfordert und musst mit deinen schweren Schuhen einen viel grösseren Aufwand betreiben als dein Gegner.
Du nutzt also Werkzeuge, die nicht zeitgemäss sind. Deine Lebenseinstellung passt aber prima zur neuen Welt. Vielleicht bist du freischaffender Künstler. Oder Lernbegleiterin an einer freien Schule. Jedenfalls lebst du deine Veranlagungen und folgst deinem inneren Kompass.
Computer und Internet magst du aber nicht und nutzt diese Werkzeuge nicht. Somit sind deine Möglichkeiten genauso eingeschränkt wie bei Variante 1.
Wie immer gilt: Die Extrem-Version dieses Archetyps dürfte sehr selten zu finden sein. Wahrscheinlicher als eine Komplettverweigerung der neuen Werkzeuge ist eine Skepsis und zurückhaltende Nutzung. Vielleicht hast du keine Ahnung, wie du eine Website erstellen kannst. Die Welt der Webinare und Online-Kurse ist dir verschlossen. Du magst es nicht, dich auf einer Website oder in einer App zu registrieren und verzichtest weitestgehend darauf.
Die Folgen: Da du dein Ding lebst, fühlt sich dein Leben erfüllt an. Das Gefühl der inneren Leere kennst du kaum. Aber manchmal fühlst du dich ausgeschlossen und du musst einen Zusatzaufwand in Kauf nehmen, um etwa an Informationen zu gelangen.
Variante 4 - Neues Denken, neue Möglichkeiten nutzen
Du spielst Tischtennis. Punkt.
Dein Schläger, deine Schuhe, dein Spiel: Alles ist auf deine Einzigartigkeit zugeschnitten.
Genauso ist bei dieser Variante dein Leben auf dich zugeschnitten. Du hast dir ein Leben aufgebaut, das zu den Spielregeln der digital geprägten Gesellschaft passt. Deine berufliche Tätigkeit erfüllt dich. Sie ist nicht eingeschränkt durch Vorgaben von Vorgesetzten. Vielleicht bist du selbständig erwerbend und hast deshalb keine Vorgesetzten. Oder du arbeitest in einem Team – mit oder ohne Vorgesetzte – das dir freie Hand lässt, so dass du dich voll entfalten kannst.
Du lässt deine Kinder sich frei entfalten. Du versuchst, keine Erwartungen an sie zu haben und sie nicht in eine bestimmte Richtung zu drängen. Stattdessen beobachtest du ihre Persönlichkeiten, die sich nach und nach klarer zeigen und unterstützt sie, diese zu leben.
Du vertraust deinem Leben und folgst der Liebe, deinem inneren Kompass. Du lässt dich überraschen, wohin dich dein Leben führt, ohne es kontrollieren zu wollen.
Dein Leben fühlt sich erfüllend an, abenteuerlich und leicht zugleich. Du kannst aus dem Vollen schöpfen.
4 Möglichkeiten im Überblick
Das Mindset kristallisiert sich als entscheidendes Kriterium für das Wohlbefinden heraus. Passt dein Mindset zu den gesellschaftlichen Spielregeln? Spielst du Tennis oder Tischtennis?
Tischtennis muss nicht zwingend empfehlenswerter sein als Tennis, das Neue nicht empfehlenswerter als das Alte. Aber in diesem Fall - dem Übergang von der industriell zur digital geprägten Gesellschaft - ersetzt Selbstbestimmung ausgeprägte Fremdbestimmung. Und gemäss Selbstbestimmungstheorie [6] fühlen wir uns selbstbestimmt wohler als fremdbestimmt.
Im Überblick lassen sich die Folgen aus den vier Möglichkeiten, mit dem Neuen umzugehen, wie folgt zusammenfassen:
Es erfordert keinen grossen Aufwand, neue Werkzeuge zu verwenden. Doch wirkliche Veränderung geschieht erst, wenn wir unsere Haltungen, unsere Glaubenssätze transformieren. Das dauert länger und gelingt längst nicht allen. Im Gegensatz zur Verwendung neuer Werkzeuge können wir schlecht auf Anleitungen zurückgreifen, die uns Schritt für Schritt unterstützen. Stattdessen müssen entscheidende Voraussetzungen erfüllt sein, um uns auf den Weg zu begeben: Grosse Offenheit sowie die Bereitschaft, Altbekanntes loszulassen und uns in unbekanntes Gebiet zu wagen.
Quellen
[1] Simon Dückert: lernOS für dich Leitfaden. Lernen und Arbeiten im 21. Jahrhundert. https://github.com/cogneon/lernos-for-you/blob/master/de/lernOS-fuer-Dich-Leitfaden.pdf
[2] Anna Davies, Devin Fidler, Marina Gorbis: Future work Skills. Institute for the Future. 2011.
[3] Werner Hartmann, Alois Hundertpfund: Digitale Kompetenz: Was die Schule dazu beitragen kann. Bern: hep, 2015
[4] Bernie Trilling, Charles Fadel: 21st Century Skills: Learning for Life in Our Times. San Francisco: Jossey-Bass, 2012
[5] Auflistung von Henry Jenkins, Katie Clinton, Ravi Purushotma, Alice J. Robison, Margaret Weigel: Confronting the challenges of participatory culture: Media education for the 21st century. MacArthur Foundation, 2006. Zitiert nach Nando Stöcklin: Computerunterstützte Gamifizierung in der Sekundarstufe I. Konzeption und Erforschung von Maßnahmen zur Einbindung spielerischer Elemente in Lernsettings. Dissertation, Pädagogische Hochschule Heidelberg.
[6] Edward Deci, Richard Ryan: Self-determination theory. https://selfdeterminationtheory.org
Willst du mehr vom Leben als Geld, Status und Konsum?
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