Routine ist brandgefährlich. Als nützliche Helferin getarnt, schleicht sie sich in dein Leben ein – und frisst es auf. Viel zu spät fragst du dich, wo dein Leben geblieben ist.
Was bedeutet Routine?
Der Duden definiert Routine als "durch längere Erfahrung erworbene Fähigkeit, eine bestimmte Tätigkeit sehr sicher, schnell und überlegen auszuführen“. Das klingt erstmal nicht negativ, doch der Duden bietet eine zweite Bedeutung an: „...Ausführung einer Tätigkeit, die zur Gewohnheit geworden ist und jedes Engagement vermissen lässt“.
Die beiden Bedeutungen hängen aneinander wie Yin und Yang. Je öfter wir eine Tätigkeit ausführen, desto routinierter werden wir. Wir erlangen grosse Sicherheit. Die einzelnen Handgriffe oder Abfolgen sind automatisiert. Kannst du dich an deine ersten Fahrstunden erinnern? Pedalen, Schaltung, Steuerrad, Blinker, Verkehrsschilder, Gegenverkehr – pure Überforderung. Doch bald hilft uns die Routine. Die Pedalen drücken sich wie von alleine, der Blinker ist immer rechtzeitig eingeschaltet, wir merken gar nicht mehr, dass wir hoch- und runterschalten. Wir können uns ganz auf den Verkehr und die Signalisation konzentrieren. Welch ein Segen, diese Routine!
Doch, wenn wir "durch längere Erfahrung […] eine bestimmte Tätigkeit sehr sicher, schnell und überlegen“ ausführen, dann schleicht sich auch die zweite Ebene ein: Die Tätigkeit – in unserem Beispiel das Autofahren – wird zur Gewohnheit. Sie stellt keine Herausforderung dar. Sie wird langweilig. Dann gibt es Menschen, die drücken kräftig aufs Gaspedal, um wieder einen Kick zu spüren.
Was ist das Gegenteil von Routine?
Tauchen wir noch tiefer in den Begriff „Routine“ ein. Was ist denn das Gegenteil? Bei was-ist-das-gegenteil-von.de werden wir fündig: Als Gegenteil von Routine wird das Abenteuer genannt. Ich werfe einen weiteren gegenteiligen Begriff ein: Das Spiel.
Spiele sind selbstbestimmte Herausforderungen, bei denen das Ziel in der Herausforderung selbst liegt. Abenteuer, die wir um des Abenteuers willen in Angriff nehmen. Nicht-Spiele wären demnach Tätigkeiten, die nicht herausfordernd sind, die einem anderen Ziel folgen und die wir nicht selbstbestimmt verrichten. Da sehe ich ganz viel Routine, ganz viel Alltagstrott, ganz viel Hamsterrad.
In der Routine fehlt aber auch eine andere wichtige Zutat, die ein Spiel ausmacht: Das Unbekannte, das Ungewisse. Herausforderungen sind solche, weil wir den Weg nicht genau kennen. Wir wissen nicht, ob wir die Aktivität auch schaffen. Das macht den Reiz von Spielen aus.
Menschen lechzen nach Herausforderungen, das zeigen zum Beispiel die Selbstbestimmungstheorie aber auch die Flow-Theorie deutlich. Die meisten für uns neuen Tätigkeiten stellen Herausforderungen dar. Es kann also gut sein, dass wir ganz selbstbestimmt einen Job annehmen, der für uns herausfordernd ist.
Doch mit den Jahren wird er zur Routine. Aber das Gehalt ist gut, durch die Routine fällt uns die Tätigkeit immer leichter, es gibt gerade keine passende Alternative oder wir sind schlicht zu träge, also behalten wir den Job bei. Und ehe wir uns versehen, sind wir im fortgeschrittenen Alter. Die Stelle zu wechseln wird immer schwieriger. Also packen wir auch die letzten Jahre im Berufsleben ohne viel Engagement an und retten uns dann in die Pension. Es geht nur noch darum, Leistung gegen Lohn zu erbringen. Das spielerische Leichte ist ganz weit weg.
Und das ist sehr schade, denn beim Spielen fühlen sich Menschen am glücklichsten. Spätestens auf dem Sterbebett bereuen wir, das Leben nicht gelebt zu haben.
Wie stark bist du in der Routine gefangen?
Routine ist Stillstand
Die Gegenüberstellung von Routine und Spiel zeigt einen weiteren wichtigen Punkt auf. Beim Spielen packen wir Herausforderungen an. Egal, ob wir sie sie schaffen oder nicht: Wir lernen auf jeden Fall.
Ohne Herausforderung lernen wir kaum etwas. Wir entwickeln uns nicht weiter.
Routine ist Stillstand.
Für eine Weile ist das völlig in Ordnung. Jede Aktivitäts- und Lernphase verlangt nach einer ruhigeren Phase, in der wir das Gelernte setzen lassen, verarbeiten. In der wir uns langweilen und aus der Langeweile eine neue Herausforderung entsteht.
Beherrschen wir eine Tätigkeit perfekt, sollten wir uns eine andere suchen
Was nun? Ist Routine nun gut oder schlecht? Beides. Die Frage ist eher: Wie viel Routine darf's sein?
Menschen streben danach, Einfluss nehmen zu können und etwas bewirken zu können. Wir sind maximal effektiv mit einem gewissen Mass an Routine. Die wenigsten Menschen liefern gleich beim ersten Versuch einer Tätigkeit ein perfektes Ergebnis ab. Haben wir zu viel Routine, werden wir fahrlässig, unser Engagement nimmt ab und das schlägt sich schnell einmal auf unsere Leistung nieder. Vor allem aber auf unser Wohlbefinden, auf unser Zufriedenheit und darauf, wie erfüllt wir uns fühlen.
Beispielsweise halte ich oft Vorträge. Wenn ich zum ersten Mal zu einem bestimmten Thema spreche, hakt es noch an der einen oder anderen Stelle. Vielleicht gibts Brüche in der Argumentation. Oder es gibt ein Spannungsgefälle. Ich kann dazulernen und den Vortrag verbessern.
Für die nächste Gelegenheit baue ich den Vortrag um, beginne zu optimieren. Irgendwann ist der Vortrag ziemlich optimal. An dieser Stelle sollte ich den Vortrag nicht mehr halten, denn nun gibt es keine Herausforderung mehr. Ich weiss genau, wo die Teilnehmenden die Stirne runzeln, irritiert sind, zustimmend nicken oder wo sie lachen. Nun ist es nur noch ein Herunterspulen. An dieser Stelle sollte ich einen komplett neuen Vortrag aufbauen.
Und dieses Prinzip können wir übernehmen: Sobald wir das Gefühl haben, wir beherrschen unsere Tätigkeit nahezu perfekt, wir lernen kaum noch dazu, sollten wir uns nach einer neuen Herausforderung umsehen. Einem neuen Spiel.
Wie so oft können wir uns da viel von spielenden Kindern abschauen: Sobald sie ihr spielerisches Ziel erreicht haben, sobald der Turm steht, die Hütte gebaut oder das Bild gemalt ist, folgt meist eine kurze Phase der Langeweile. Die dauert so lange, bis die nächste selbstbestimmte Herausforderung gefunden ist. Und dann gehts wieder von vorne los. So lernen Kinder ständig hinzu und entwickeln sich weiter. Nur so können wir verhindern, dass wir anstelle der selbstbestimmten Herausforderungen Ersatzbefriedigungen benötigen und als fleissige Konsument*innen enden.
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Wie stark bist du in der Routine gefangen?
Hallo Nando,
was mir in Deiner Beschreibung von Routine noch fehlt, ist das Moment der Wiederholung. Routine bedeutet doch, das Gleiche wieder und wieder zu tun. Das Fehlen von Abwechslung charakterisierst Du als fehlende Herausforderung. Deshalb magst Du Deinen Vortrag nicht mehr halten, wenn er einen gewissen Grad der Perfektion erreicht hat. Es gibt dann keinen Grund mehr etwas abzuändern, so dass es mehr und mehr zu einem Abspulen von etwas längst Bekannten wird.
Aber das muss nicht so sein! Es liegt nicht am Wiederholen, dass wir dazu neigen immer gleichgültiger zu werden, weil vermeintlich die Herausforderung fehlt. Es liegt an unserer Haltung, die wir gegenüber dem Wiederholen haben. Wenn die Absicht beim Wiederholen ist, eine Tätigkeit zu automatisieren – wie das etwa im Sport oft angestrebt wird – dann führt das tatsächlich zu immer routinierter Ausführung und damit zu immer unbeteiligter Ausführung. In asiatischen Disziplinen, seien es Kampfkünste, Teezeremonie, Kalligraphie o.ä. dient aber die Wiederholung einer Kata (jap. Form) dem genauen Gegenteil – der Erlangung von Geistesgegenwart. Es wäre für Kampfkünstler fatal, wenn das Üben von Formen zu immer größerer Festgelegtheit und Berechenbarkeit führen würde. Das Wiederholen dient dazu, immer wacher und lebendiger zu werden. Man übt, immer vollständiger bei der Sache zu sein.
Das mag uns auf den ersten Blick fremd erscheinen, aber wenn wir an klassische Musiker denken, kennen wir das auch in unserem Kulturkreis. Wenn ein Musiker über Jahre hinweg immer wieder das gleiche Stück spielt, wollen wir dann, dass es immer routinierter klingt? Nein, es fasziniert uns, wenn es immer aufs Neue frisch und lebendig klingt. Bernstein hat einmal gesagt, wenn eine Aufführung wirklich gelungen war, denkt er, wenn er am Ende den Taktstock sinken lässt „Was habe ich da gerade Tolles komponiert!“
Es scheint möglich zu sein, etwas beim Wiederholen wie zum ersten Mal zu erleben. Ist das vielleicht Ausdruck eines spielerischen Geistes? Wollen nicht Kinder genau das, etwas Gelungenes gleich noch einmal machen und noch einmal mit der gleichen Intensität und Begeisterung als wäre es das erste Mal?
Mir ist aufgefallen, dass ich, wenn ich etwas wiederhole, das Ergebnis wiederholen möchte. Ich möchte wieder so viel Spaß haben, so begeistert sein, was auch immer. Aber will ich wirklich – von ganzem Herzen – das Gleiche einfach noch einmal tun? Da haben mir die Kinder wirklich noch etwas voraus. Ihre Freude reißt nicht ab, wenn sie sich wieder und wieder im selben Versteck verstecken, um sich anschließend suchen (und finden!) zu lassen. Reine Freude, ganz ohne jede Schwierigkeit oder Herausforderung. Es scheint, als wüßten sie noch einen weiteren Weg zur Glückseeligkeit – der noch nicht einmal eine Herausforderung braucht.
Lieber Christoph, herzlichen Dank für deinen anregenden Kommentar! Ja, Wiederholungen können sicherlich erfüllend sein. Aber wenn ich Kinder beobachte, dann nur bis zu einem gewissen Grad. Nehmen wir dein Beispiel vom Verstecken: Sie verstecken sich immer am selben Ort und haben jedes Mal eine Riesenfreude, wenn sie entdeckt werden. Ist da nicht gerade die Wiederholung die Herausforderung? Nach dem Motto: Schaffen wir es, die Situation zu wiederholen? Aus Sicht des versteckenden Kindes: Schaffe ich es, der suchenden Person beim Entdecken wiederum ein Lachen zu entlocken? Aber auch da verliert sich die Freude nach einer Weile und die Kinder widmen sich einem anderen Spiel.
Andere Spiele haben das Unbekannte in sich drin und somit die Herausforderung. Nehmen wir Fussball. Dieses Spiel kann über Jahrzehnte Freude bereiten, einfach weil kein Spiel wie das andere ist. Es entsteht zwar eine gewisse Routiniertheit, die hilft, in den verschiedenen Situationen etwas Sinnvolles mit dem Ball zu machen. Trotzdem kann das Spiel nie zu 100% kontrolliert werden und die Spielenden wissen nie, was als nächstes geschieht.
Ist es beim Original Play nicht auch so? Jede Situation, jedes Spiel ist etwas anders? Jedes Mal ist das Unbekannte, nämlich wie reagiert das Gegenüber, der entscheidende Faktor, der das Spiel nicht zur Routine werden lässt?
Bei asiatischen Disziplinen könnte die Herausforderung dann darin liegen, Geistesgegenwart zu erlangen?
Und dann als Kontrast die berechenbare Arbeit am Fliessband. Das Fliessband befördert eine Flasche zu mir und es gilt, diese in die Schachtel zu packen. Das Tag für Tag, Woche für Woche. Sicher, es gibt Menschen, die fühlen sich dadurch herausgefordert. Aber ist das – nebst den unterschiedlichen kognitiven Fähigkeiten – wirklich eine Frage der Einstellung? Oder widersprechen solche Tätigkeiten nicht einfach dem psychologisch tief verankerten Bedürfnis, etwas bewirken zu wollen (s. https://spieldeinleben.ch/gluecklich-sein/)?