Beispielsweise in Diskussionen rund um digitale Games und Social Media taucht oft sehr schnell der Begriff "echte Welt" auf.
Gerade das Thema "digitale Games" ist ziemlich komplex und ich gehe hier nicht vertieft darauf ein. Ich möchte aber drei Argumente nennen, weshalb ich den Begriff "echte Welt" nicht wirklich hilfreich finde.
1. Der Begriff ist unscharf
Was genau ist Teil der echten Welt? Und was nicht? Wenn ich mich mit Menschen über diese Frage unterhalte, wird schnell deutlich, dass die Grenze unterschiedlich gezogen wird.
Die einen halten alles für die echte Welt, was nicht digital ist. Andere zählen beispielsweise auch fiktive Geschichten wie Romane nicht zur echten Welt.
Und was ist, wenn Kinder beispielsweise Rollenspiele spielen? Wenn sie sich etwa draussen auf der Wiese in einen Zuber setzen und Piraten auf hoher See spielen? Ist das Teil der echten Welt oder nicht?
Diskutieren wir über die echte Welt, müssen wir davon ausgehen, dass da unterschiedliche Vorstellungen in den Köpfen sind und der Begriff somit mehr Verwirrung schafft, als klärt.
2. Der Begriff ist wertend
"Echte Welt" wird vielfach wertend gemeint. Die "echte Welt" (was auch immer sie genau umfasst) wird über die digitale/fiktive/fantastische/künstliche Welt gestellt.
Wenn wir das weiterdenken, werden alle Berufe und Tätigkeiten im Kontext von digital/fiktiv/fantastisch/künstlich abgewertet. Sollte ein Romanautor mit der mechanischen Schreibmaschine schreiben, anstatt mit einer elektronisch gesteuerten Computertastatur? Ist ein Gemälde auf Leinwand im Vergleich zum digitalen Werk einer Pixelkünstlerin höher zu werten? Oder gehört Kunst sowieso nicht in die reale, echte Welt, weil sie ja nicht wirklich "produktiv" ist?
Das Digitale, Fiktive ist Teil der Welt. Es aus der "echten Welt" auszuklammern, ergibt für mich keinen Sinn und ist meines Erachtens diskriminierend.
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3. Der Begriff ist arrogant
Wissen wir denn überhaupt, was die echte Welt ist? Mit dem Höhlengleichnis von Platon vor Augen wirkt eine klare Antwort schnell mal arrogant.
Nachts sind wir in der Traumwelt. Ist vielleicht das die echte Welt und wir leben im Wachzustand in einer Scheinwelt?
Befinden Kinder sich in der echten Welt, wenn sie physisch in der Schule sitzen? Sind sie in der echten Welt, wenn sie sich dabei gedanklich mit ihren Problemen und Träumen beschäftigen? Oder ist die Schule sowieso realitätsfremd und also nicht die echte Welt?
Und was ist nach unserem Tod (oder vor unserer Geburt)? Leben wir weiter in einer nicht-körperlichen Welt? Und wie würden wir aus dieser nicht-körperlichen Welt die körperliche wahrnehmen? Als echte Welt?
Ich wage keine Antworten auf solche Fragen.
Und was ist mit Spielen?
Oft höre ich auch, Spiele seien nicht real - also nicht Teil der echten Welt. Im Blog-Artikel Weshalb Spiele real sind habe ich mich ausführlich gegen diese Vorstellung gewehrt.
Genauso gut liesse sich der Spiess umdrehen. Ein Spiel ist eine selbstgewählte Herausforderung, die einfach aus Freude, aus einem inneren Drang angepackt wird.
Wer spielt, lebt das, was in dem Moment aus diesem Menschen gelebt werden möchte. Wer nicht spielt, handelt aus Motivationen wie Belohnung, Status oder Sinn. Sie leben nicht sich selbst.
Also könnten Spiele als echt und Nicht-Spiele als nicht real betrachtet werden. Wären dann digitale Games, die aus Leidenschaft gespielt werden (was sein kann, aber nicht sein muss), dann plötzlich wieder echt?
Fazit
Folgen wir der echte-Welt-Logik, erhalten wir bei genauerem Betrachten schnell mal einen Knoten in den Kopf.
Ich plädiere dafür, nicht wertende, eindeutigere Begriffe zu verwenden, auch wenn ich mir bewusst bin, dass die meisten Begriffe im Detail nicht so ganz eindeutig sind.
Wir können von analoger und digitaler Welt sprechen, wenn wir diese beiden Welten als Kategorien betrachten wollen. Wir könnten von Gedankenwelt sprechen, wenn wir diesen Teil unserer Welt meinen. Oder von Phantasiewelt.
Aber wenn es nach mir ginge, lieber nicht von echter oder realer Welt als Gegensatz zu - ja, zu was nun?
PS: Wir können - und sollen! - beispielsweise Social Media, Videospiele, Digitales allgemein, aber auch Fiktives trotzdem kritisch diskutieren. Verzichten wir auf pauschal wertende Unterscheidungen wie "echte Welt vs. digitale/fiktive/usw. Welt" erlaubt uns das sogar, genauer hinzuschauen und hinter dem Schwarzen auch die Grauschattierungen zu betrachten.
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