Innert kürzester Zeit wurden digitale Innovationen wie Computer, Internet, Smartphones und Künstliche Intelligenz entwickelt. Doch ich behaupte, die einschneidenden Veränderungen kommen erst noch. Und sie dürften heftig sein. Denn wir befinden uns in der dritten fundamentalen gesellschaftlichen Umwälzung der Menschheitsgeschichte, der digitalen Revolution.
Die drei grossen gesellschaftlichen Revolutionen
Bislang gab es zwei grosse gesellschaftliche Umbrüche, die die Gesellschaft komplett verändert hat: Der Übergang von den nomadischen Jäger- und Sammlerkulturen in sesshafte Ackerbau- und Viehzuchtkulturen in der neolithischen Revolution und der Übergang von dieser Agrargesellschaft hin zur industriellen Gesellschaft in der industriellen Revolution.
Nun kommt die dritte Revolution hinzu, in der sich die industrielle Gesellschaft weiterentwickelt zur digital geprägten Gesellschaft.
Neolithische Revolution – aus Jägern und Sammlern werden Bauern und Handwerker
Jahrtausendelang waren die Menschen nomadische Jäger und Sammler. Klimatische Veränderungen erleichterten das Wachstum von essbaren Pflanzen und Tieren. Es war immer weniger notwendig, umherzuziehen, um Nahrung zu finden. Stattdessen wurden Wildtiere und -pflanzen domestiziert, also durch Züchtung so verändert, dass sie den Menschen als Nutztiere und Kulturpflanzen dienten.[1]
Dauer der Neolithischen Revolution
In Europa dauerte die neolithische Revolution etwa von 8300 v. Chr. bis 2200 v. Chr. Dieser Übergang von der Jäger- und Sammlergesellschaft zur Ackerbau- und Viehzuchtgesellschaft dürfte nicht so linear erfolgt sein, wie das erscheinen mag.[2] Vielmehr war es ein ständiges Hin und Her. Teilweise kehrten Gemeinschaften nach einer Zeit der Sesshaftigkeit offenbar bewusst zurück zum nomadischen Leben.
Die grössten Veränderungen in Europa fanden während der Hauptphase ab ca. 5600 v. Chr. statt.
Gesellschaftliche Veränderungen der neolithischen Revolution
Die neolithische Revolution führte zu einschneidenden Veränderungen, die in der Intensität bislang alles übertraf. Zu den wichtigsten Veränderungen gehörten folgende:
- Das nomadische Leben wurde durch Sesshaftigkeit ersetzt.
- Der Nahrungserwerb verlagerte sich von der Jagd und dem Sammeln hin zum Pflanzenanbau und Hirtentum.
- Durch den Anbau wurde die Nahrungsversorgung stabiler und es konnten mehr Menschen ernährt werden. Die menschliche Bevölkerung wuchs und dehnte sich über grössere Gebiete aus.
- Es war wichtig, die Nahrungsmittel zu lagern. Dadurch konnten grössere Bauprojekte in Angriff genommen werden, die über einen längeren Zeitraum dauerten. Planung und Kooperation wurden wichtig.
- Die gesellschaftlichen Strukturen wurden komplexer. Es entstanden spezialisierte Handwerke und soziale Hierarchien.
- Neue religiöse Praktiken etablierten sich.
Industrielle Revolution – aus Handwerkern und Bauern werden Lohnarbeiter
Der nächste grosse gesellschaftliche Umbruch stellte die industrielle Revolution dar.
Dauer der industriellen Revolution
Wann startete die industrielle Revolution? Medientheoretiker sehen den Anfang wohl in der Erfindung der Druckpresse von Johannes Gutenberg um 1440. Andere betrachten die Entwicklung der 1769 von James Watt patentierten Dampfmaschine als Startschuss. Beide Positionen sind wohl richtig: Die Druckpresse verlieh der industriellen Gesellschaft den Charakter, die Dampfmaschine setzte die Revolution so richtig in Gang.
Wie bei der neolithischen Revolution gab es auch bei der industriellen eine Hauptphase, während der die wesentlichen Systemänderungen stattfanden. Die Hauptphase dauerte in Europa etwa von 1770 (in England) bis 1918 (in Deutschland und Österreich), wobei viele das Ende der Hauptphase auf etwa 1880 festlegen. Für mich macht es mehr Sinn, das Ende des Ersten Weltkrieges und damit das Ende der Monarchien in Deutschland und Österreich als Schlusspunkt zu nehmen.
Gesellschaftliche Veränderungen der industriellen Revolution
Auch diesmal wurden sämtliche gesellschaftliche Systeme wie das Polit-, Wirtschafts-, Bildungs-, Gesundheits- und Landwirtschaftssystem durch neue ersetzt.
Zu den wichtigsten gesellschaftlichen Veränderungen der industriellen Revolution gehörten folgende Errungenschaften:
- Die Agrarwirtschaft ging in eine maschinelle Produktion über.
- Menschen wanderten aus dem ländlichen Raum in städtischen Gebiet aus. Es entstanden eigentliche Industriestädte. Beispielsweise in Essen (Deutschland) wohnten im Jahr 1800 4000 Einwohner, 1920 waren es mehr als 450'000.[3] In anderen Industriestädten wie in Manchester (England) oder Glasgow (Schottland), explodierte die Bevölkerung in ähnlichem Masse.
- Mit der Arbeiterklasse und den Industriellen entstanden neue soziale Klassen.
- Neue systemische Institutionen wurden geschaffen, so etwa das öffentliche Bildungssystem, wissenschaftliche Forschungseinrichtungen, der öffentliche Gesundheitsdienst, Sozialversicherungssysteme, Gewerkschaften, öffentliche Verkehrssysteme, Postdienst und Telekommunikation und das Polizei- und Justizsystem.
- Die Uhr und die Orientierung an der Uhr wurden etabliert, sowohl bei der Arbeit als auch beim Lernen. Zeit wurde an Geld gekoppelt. Kinder mussten eine bestimmte Zeit in der Schule verbringen, Arbeitnehmende bei der Arbeit.
Digitale Revolution – was wird aus Lohnarbeitern?
Medientheoretiker und Vertreter anderer Disziplinen halten den aktuellen Gesellschaftswandel für die dritte epochale gesellschaftliche Revolution.[4] Noch zeigt sie sich erst in den Anfängen, doch lässt sich die Richtung der Veränderungen erahnen.
Dauer der digitalen Revolution
Über die Dauer lässt sich noch nicht viel sagen. Die industrielle Revolution dauerte deutlich kürzer als die neolithische und ich gehe davon aus, dass die digitale Revolution im Vergleich zur industriellen aufgrund der Beschleunigung nochmals deutlich an Tempo zulegt.
Wann hat sie begonnen? Mit den ersten Computern, die im Laufe des Zweiten Weltkrieges entwickelt wurden? Oder mit der Etablierung des Internets etwa um die Jahrtausendwende? Oder irgendwo dazwischen? Darüber können sich die Wissenschaftler streiten, so wesentlich scheint mir die Frage nicht. Spannender finde ich, wann die Hauptphase stattfindet.
Wann findet die Hauptphase der digitalen Revolution statt?
Und jetzt mache ich eine Aussage, die angesichts der rasanten technologischen Entwicklung der letzten Jahre erstaunen mag: Aus meiner Sicht hat die Hauptphase noch nicht begonnen. Weshalb? Natürlich, KI-Dienste boomen, Smartphones sind allgegenwärtig, Homeoffice ist mittlerweile recht gut etabliert, viele Unternehmen distanzieren sich zunehmend von straffen Hierarchien und sind auf der Suche nach einem Purpose, freie Schulen und Homeschooling boomen.
Trotzdem: Noch besteht unsere Gesellschaft weiterhin aus den industriellen Systemen, der öffentlichen Schule, dem Finanz- und Wirtschaftssystem, dem politischen System etc. Digitale Nomaden, freiere Lernansätze oder soziokratische Elemente sind nach wie vor Randerscheinungen.
Es zeigen sich aber tiefe Risse in den alten Systemen. Das Gesundheitssystem ist am Anschlag und kaum noch finanzierbar. Das Bildungssystem wird durch unausgebildetes Personal und das Finanzsystem durch staatliche Rettungen von Banken künstlich am Leben erhalten. Die Landwirtschaft ist genauso in der Sackgasse wie das politische Parteiensystem.
Sie wanken – noch aber sind da, die industriellen Systeme. Sie haben sich überlebt und funktionieren jeden Tag ein bisschen schlechter. Und das Neue passt nicht wirklich in diese alten Systeme hinein, leistet aber wichtige Pionierarbeit. Es holpert kräftig.
Gesellschaftliche Veränderungen der digitalen Revolution
Die vermuteten gesellschaftlichen Veränderung der digitalen Transformation habe ich mit Fokus auf Lernen und Arbeiten hier ausführlich beschrieben. Hier sind die wesentlichen Punkte zusammengefasst:
- Automatisierung und Digitalisierung: Routineaufgaben werden durch Computer und Künstliche Intelligenz übernommen, was zu einem Rückgang traditioneller Arbeitsplätze und von Lohnarbeit führt. Zukünftige Tätigkeiten konzentrieren sich auf komplexe, kreative und soziale Fähigkeiten, die von Maschinen nicht leicht reproduziert werden können.
- Individualisierung der Arbeit: Die digitale Transformation ermöglicht es Individuen, ihre beruflichen Rollen entsprechend ihrer einzigartigen Fähigkeiten und Interessen und der Probleme, die sie lösen können, zu gestalten. Dies steht im Kontrast zu den normierten Berufen der industriellen Gesellschaft und ermöglicht es, beruflich dem Herzen zu folgen, anstatt für Geld oder Status zu arbeiten.
- Spielerisch lernen: Lernen – wie auch Arbeiten – dürfte zunehmend als spielerische Aktivitäten verstanden werden. Diese fördern genau die Kompetenzen, die in der dynamischen digitalen Gesellschaft unerlässlich sind: Kreativität, Problemlösungsfähigkeiten und soziale Kompetenzen.
- Vom Homo Faber zum Homo Ludens: Der Erfolg in der digitalen Welt wird zunehmend durch intrinsische Motivation, Spiel und persönliche Entfaltung definiert, anstelle von externen Leistungsanforderungen. Menschen werden ermutigt, ihre authentischen Veranlagungen zu leben und eine spielerische Existenz anzunehmen.
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Die vier Phasen des Neuen oder weshalb du springen musst
Neue Ideen durchlaufen vier Phasen, bis sie etabliert sind: Zuerst werden sie ignoriert, dann belächelt, als drittes bekämpft und dann sind sie etabliert. Das Belächeln dürfte eine erste sanfte Form des Bekämpfens sein.
Weshalb werden neue Ideen zuerst bekämpft, bevor sie sich durchsetzen können? Systeme haben eine Selbsterhaltungskraft, in der Fachsprache "Autopoiese".[5] Damit die alten Systeme überleben können, versuchen sie die neuen so lange als möglich zu bekämpfen.
Wir befinden uns in der Phase des Bekämpfens
Egal ob spielerische Formen des Lernens wie das Lernen in freien Schulen oder im Homeschooling als auch selbstorganisierende Einheiten in Institutionen: Aktuell beobachte ich, dass das Neue zunehmend bekämpft wird.
In der Schweiz sind die neuen Lernformen stark wachsend und entsprechend sind sie in den Fokus von Bildungsbehörden gerückt. Die etablierten Systeme fühlen sich bedroht. Vielerorts wurden die Vorgaben verschärft. Auch der Ton verschärft sich. Exponenten der traditionellen Bildungsinstitutionen melden sich vermehrt in Interviews zu Wort und schiessen gegen Homeschooling und freie Schulen.
Ähnliches beobache ich in der Arbeitswelt: Die alten, straff organisierten hierarchischen Systeme verlangen nach Gehorsam und "Linientreue". Selbstorganisierende Teams werden zerschlagen, selbst denkende Mitarbeitende entlassen.
Das ist aber nur eine Sicht. Trotz allem steigt die Zahl der Eltern, die sich für einen alternativen Bildungsweg entscheiden und besonders neuere Unternehmen etablieren auch neue Formen der Zusammenarbeit und Organisation. Das Neue lässt sich nicht aufhalten.
Die industriellen Systeme haben sich bewährt, müssen sie wirklich ersetzt werden?
Die industriellen Systeme haben sich tatsächlich bewährt und haben viel Positives gebracht. Systeme müssen aber immer zu den übergeordneten Spielregeln passen. Diese werden vom wichtigsten gesellschaftlichen Kommunikationsmittel geprägt. Im industriellen Zeitalter war das die printbasierte Kommunikation, heute ist es das Internet.
Versuchen wir mit den alten Systemen in diesen neuen Spielregeln zu bestehen, geschieht dasselbe, wie wenn du beim Fussballspiel die Regeln durch jene des Eishockeys ersetzt. Es entsteht ein holpriges Spiel, das in sich nicht mehr stimmig ist.
Ein Beispiel gefällig? Aktuell prallen die jederzeit verfügbaren Smartphones auf Kinder und Jugendliche, die in einem fremdbestimmenden Umfeld aufwachsen. Diese Kombination ist toxisch, denn fremdbestimmte Menschen leben nicht, was aus ihnen gelebt werden will. Sie fühlen sich innerlich leer und wollen diese füllen. Da die befriedigenden Tätigkeiten – das, was aus ihnen gelebt werden möchte – nicht verfügbar ist, wenden sie sich vermehrt Ersatzbefriedigungen zu, z.B. kurzfristigen Ablenkungen in Form von Sozialen Medien und Games. Das vermindert die freie Zeit, die für erfüllende Hobbys verwendet werden könnten, weiter. Stattdessen entstehen Handysucht, Social-Media-Sucht, Gamesucht. Ein Kreislauf, der nicht selten irgendwo in der Kinder- und Jugendpsychiatrie endet – Institutionen, die den Ansturm aktuell kaum bewältigen können.
Es braucht ein Umdenken. Entscheidend ist ein neue Haltung, denn alle gesellschatlichen Spielregeln verlangen nach einem passenden Mindset. Es bleibt uns keine Wahl – wir müssen springen.
Bist du schon gesprungen?
Deshalb heisst die Frage: Wann springst du? Je länger du wartest, desto stärker wirst du von der Kraft des Alten erfasst, die das Neue bekämpft. Die Lösungen für die aktuellen Probleme liegen aber im Neuen. Das Alte kann die Probleme, die unter den neuen Spielregeln entstanden sind, nicht lösen. Bekämpfst du also mit dem Alten das Neue, bekämpfst du die Lösung der aktuellen gesellschaftlichen Probleme.
Trotzdem: Das soll kein Druck erzeugen. Jeder Mensch spürt, wann es Zeit ist zum Springen. Du kannst nicht springen, wenn die Zeit für dich nicht reif ist. Wenn du aber den inneren Drang spürst, dich neuen Wegen des Begleitens und Lernens für deine Kinder oder des Arbeitens für dich zuzuwenden, dann springe. Gehe hinein in das Neue, stärke es dadurch und trage so zur Lösung der Probleme bei.
Mittlerweile gibt es viel Erfahrung von Pionieren, die bereits gesprungen sind und gute Lösungen entwickelt haben. Stöbere gerne durch unsere Website, da findest du viele hilfreiche Beiträge dazu.
Häufige Fragen zum Thema kompakt beantwortet
Was ist die digitale Revolution?
Als digitale Revolution wird der Gesellschaftsumbruch bezeichnet, der durch digitale Technologien ausgelöst wurde. Er gilt nach der neolithischen und der industriellen Revolution als dritter umfassender Umbruch der Menschheitsgeschichte.
Wann begann die digitale Revolution?
Die digitale Revolution begann je nach Zählweise zwischen der Entwicklung des ersten Computers 1941 und der Etablierung des Internets zur Jahrtausendwende.
Was sind die wichtigsten Eigenschaften des digitalen Zeitalters?
Die wichtigsten Eigenschaften des digitalen Zeitalters sind intrinsische Motivation, Selbstbestimmung, Beschleunigung und Automatisierung.
Was macht die digitale Revolution mit unseren Kindern?
Die digitale Revolution ermöglicht es Kindern, spielerisch aufzuwachsen und ihre Veranlagungen zu entwickeln und leben.
Quellen
[1]: Jared Diamond: Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften.
[2]: David Graeber, David Wengrow: Anfänge - eine neue Geschichte der Menschheit.
[3]: Deutschsprachige Wikipedia: Einwohnerentwicklung von Essen.
[4]: Michael Giesecke: Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen der Informationsgesellschaft. | Marshall McLuhan: Das Medium ist die Massage.
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