14. Dezember 2020

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Anfangs 2017 stürzte mich ein Ereignis in eine tiefe Sinnkrise. Meine Frau Anna und ich hatten uns entschieden, unsere Kinder nicht zur Schule zu schicken, sondern sie – so gut es die Vorgaben zulassen – spielen zu lassen. Ich arbeitete damals in einem Forschungsteam an einer Pädagogischen Hochschule. Mein Forschungsthema: Spielerisch lernen.

Die Kinder nicht zur Schule schicken, aber an einer Ausbildungsstätte für Lehrpersonen arbeiten: Konflikte waren vorprogrammiert. Ich musste mich entscheiden: Soll ich meinem Arbeitgeber gegenüber loyal sein? Oder meinen Kindern und mir selber?

Den eigenen Werten treu sein?

Ich entschied mich für letzteres. Was ich damals nicht wusste: Das war die richtige Entscheidung, denn sonst hätte ich meinen Lebenssinn nicht gefunden verloren.

Innerhalb kürzester Zeit traf ich eine ganze Reihe Entscheide, die mein Leben bis heute prägen. An einer anderen Pädagogischen Hochschule wollte ich nicht arbeiten, auch dort wäre ich in einen Loyalitätskonflikt hineingeschliddert.

Ich entschied, mich selbständig zu machen. Das war ohnehin ein lang gehegter Traum. Aber womit? Das Spielen beschäftigte mich. Ich wusste, wie wichtig es war, spielerisch zu lernen. Wie wärs, noch einen Schritt weiterzugehen und das ganze Leben in ein Spiel zu verwandeln? Kann es gelingen, dass sich das wunderbare, befriedigende Gefühl beim Spielen auf das Leben übertragen lässt?

Die Idee von 'Spiel dein Leben' war geboren.

Pin: Lebenssinn finden - wie ich spielerisch meine Berufung fand

Das Spiel begann

Ich kürzte die Arbeitsstelle an der Hochschule auf 50 Prozent und wechselte intern die Arbeitsstelle. So hatte ich Zeit zum Spielen. Und genau das tat ich in den nächsten Jahren. Ohne zu wissen, wohin mich die Reise führt. Einzig mit dem Ziel Selbständigkeit.

Nun geschahen seltsame Dinge.

  • Ich lernte Menschen kennen, die mich wichtige Lektionen lehrten. Immer die richtigen Menschen zur richtigen Zeit.
  • Ich entdeckte Facetten von mir, von denen ich nichts geahnt hatte.
  • Ich lernte Krisen als wichtige Wegmarken kennen und schätzen. Sie zeigten mir: Hier geht der Weg nicht weiter, nimm einen anderen Pfad.
  • Ich lernte mich nach und nach besser kennen.
  • Ich spürte immer stärker eine innere Stimme, die mir den Weg wies.
  • Obwohl ich kaum etwas verdiente mit meiner Spielerei, war irgendwie immer ausreichend Geld da. Ich realisierte, dass Geld keine Rolle spielte, um die Leidenschaft zu leben.
  • Und nicht zuletzt: Ich lernte, dass sich mein Leben nur dann sinnvoll anfühlt, wenn ich ganz bei mir bin. Weshalb das so ist, erkläre ich gleich.

Vier mögliche Ausrichtungen im Leben – nur eine bringt Sinn

Abgeleitet von der Selbstbestimmungstheorie der beiden US-amerikanischen Psychologen Edward Deci und Richard Ryan ergeben sich vier mögliche Lebensausrichtungen.

1

Ich kann das Leben an Belohnungen ausrichten. Klingt absurd, denkst du? Hm, ich behaupte, die meisten Menschen tun das. Sie arbeiten, um Ende Monat ihren Lohn zu erhalten. Ihre Belohnung. Genauso wie sie zuvor in der Schule Leistungen erbracht haben, um möglichst gute Noten zu erhalten oder zumindest ausreichend gute.

2

Ich kann das Leben an Status ausrichten. Karriere machen. Diplome sammeln, um in der Hierarchie zu steigen. Einflussreicher und mächtiger zu werden. Diese Ausrichtung geht gut mit der ersten zusammen, denn mehr Einfluss und eine höhere Karrierestufe bedeuten oft einen höheren Lohn.

3

Ich kann das Leben am Sinn ausrichten. Sinnvolles zu tun, fühlt sich oft gut an. Ich könnte auf der Strasse fürs Klima demonstrieren, mich für eine Tier-, Umwelt- oder Menschenrechtsorganisation engagieren, in einem Altersheim arbeiten. All diese Dinge bringen vielfach nicht so viel Geld.

4

Ich kann das tun, was mir Freude bereitet. Künstlerinnen und Künstler finden sich in dieser Kategorie. Sie tun, was ihrem Innersten entspringt. Egal, ob das Geld oder Status bringt. Egal, ob andere das als sinnvoll erachten.

Den Lebenssinn finden: Das geht nur bei einer dieser Ausrichtungen

Mit welcher dieser Ausrichtungen kannst du den Lebenssinn finden?

Logisch, Ausrichtung am Sinn, vermuten wohl viele. Und genau das ist der grosse Irrtum. Ausrichtung am Sinn fühlt sich nicht zwingend sinnvoll an. Wenn du den Lebenssinn verloren hast, bringt dir die Ausrichtung am Sinn nicht das Gefühl des Lebenssinns zurück.

Den Sinn des Lebens findest du nur, wenn du dich an der Freude ausrichtest. Bevor du fragst: Das ist kein Votum für die Spassgesellschaft! Ganz im Gegenteil. Die Ausrichtung an die Freude führt nicht zu Konsum, sondern zu einem Leben, das sich sinnvoll anfühlt und in dem du etwas Wertvolles für andere tust.

Hingegen führt die Ausrichtung an Belohnung und Status zu Konsum. Weil die meisten Menschen sich daran orientieren, leben wir in einer Konsumgesellschaft.


Weshalb ist die Ausrichtung an der Freude so wichtig?

Du bist einzigartig, es gibt keinen Menschen, der genauso ist wie du. Du hast deine ganz persönlichen Antriebskräfte, deine individuellen Talente, deine Interessen und deine Erfahrungen.

Kannst du diese Buntheit leben, fühlt sich das stimmig an. Das kannst du aber nur, wenn du der Freude folgst. Denn was dir Freude und Spass bereitet, wird durch deine Einzigartigkeit bestimmt. Einem Delfin bereitet es Freude, durchs Wasser zu gleiten. Weil das genau seinem Wesenskern entspricht. Genauso liebt es ein Adler, durch die Lüfte zu segeln.

In deinen ersten Lebensjahren hast du dich daran gehalten. Du hast das getan, was deinem Innersten entsprungen ist. Irgendwann hast du den inneren Antrieb gespürt, zu sprechen. Und zu gehen. Nämlich genau dann, als du von deiner individuellen Entwicklung her so weit warst.

Das hat sich sinnvoll angefühlt. Du hattest keine Sinnkrise.

Doch dann geschah etwas, was dich aus der Bahn geworfen hat. Zumindest den meisten Menschen geht das so.

Ein spielendes Kind wird dir nie die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen. Diese Frage kommt erst auf, wenn du sein Spiel unterbrichst. Stefan Hiene

Weshalb fehlt dir der Lebenssinn?

Die industrialisierte Gesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts funktionierte nach einem Prinzip: Leistungsorientierung. Spätestens in der Schule hast du gelernt, dass das, was andere von dir erwarten, wichtiger ist, als das, was du selbst tun willst. So hast du dich immer mehr von dir entfernt. Deine kindlichen Leidenschaften verschwanden. Du konntest nicht mehr etwas einfach aus Freude tun. Stattdessen blieb dir nur noch Belohnung und Status.

Dann hast du eine Lehre gemacht oder ein Studium absolviert. Auch da wurde dir gesagt, was du zu tun hast. Du musstest dich in ein System einordnen. Im Berufsleben geht es meistens genauso weiter. Du erhältst Lohn, wenn du die definierten Leistungsanforderungen erfüllt hast. Wenn nicht, wirst du früher oder später entlassen.

Um Erwartungen anderer entsprechen zu können, musst du immer mehr Facetten von dir verkümmern lassen. Ein Schalter nach dem anderen wird ausgeknipst. Ein Schalter für jede Farbe von dir. Bis von deiner ganzen Buntheit nur noch ein grauer Schatten übrig ist.

Die ganze Erziehung lief in der industrialisierten Gesellschaft darauf hinaus, dich auf ein Leben als Angstellte*r vorzubereiten.

Ergänzend zu dieser gesellschaftlichen Situation kann es persönliche Ereignisse gegeben haben, die dich zusätzlich in eine Sinnkrise gestürzt haben.

Weshalb ist die Ausrichtung am Sinn nicht zielführend?

Tust du etwas aus Freude, ist das im Einklang mit deiner Einzigartigkeit. Das fühlt sich immer sinnvoll an. Hingegen muss etwas, was du für sinnvoll hältst, nicht unbedingt deiner Einzigartigkeit entsprechen. Es kann ein Kompromiss sein – dann lass es sein.

Pin: Spielen ist das Mittel der Natur, um zu Lernen, die ganze Persönlichkeit zu entfalten und Erfüllung zu finden

Wie genau findest du deinen Lebenssinn?

Das Rezept heisst: Tue das, was du als Kind getan hast. Spiele. Spielen ist das Mittel der Natur, um zu lernen, die ganze Persönlichkeit zu entfalten und Erfüllung zu finden.

Probiere also aus, verstärke, was dir gefällt, lass weg, was dir nicht gefällt. So näherst du dich immer mehr deinem Wesenskern an.

Konkret kannst du dich bei allem, was du tun möchtest, fragen, weshalb du das tun würdest. Wegen der Belohnung? Dem Status? Dem Sinn? Oder einfach aus Freude? Lasse möglichst alles weg, was sich nicht stimmig anfühlt

Dem Herzen zu folgen bedeutet nicht, dass dein ganzes Leben eine riesengrosse Party ist. Vielleicht entscheidest du dich für eine Arbeitsstelle, weil sich das richtig anfühlt. Deine Vorgesetzten verlangen vermutlich teilweise Dinge von dir, die du ungern tust. Trotzdem fühlt sich die Anstellung richtig an für dich.

Vertraue dir

Sobald du dir vertraust, sobald weisst du zu leben.

– Johann Wolfgang von Goethe (Faust I)

Je mehr du der Freude folgst, desto besser lernst du dich kennen, desto mehr entfaltest du deine ganze Persönlichkeit.

Wichtig dabei ist, dass du dir vertraust. Nur du spürst, was für dich richtig ist. Höre nicht auf irgendwelche Stimmen aus deinem Umfeld. Diese Menschen meinen es oft gut, aber sie haben keinen Zugang zu deinem Innersten.

Mache keine Kompromisse

Du wurdest für DEIN Leben geschaffen. Wenn du dieses Leben lebst, fühlt es sich für dich sinnerfüllt an.

Folgst du der Freude und vertraust dir, dann entdeckst du immer mehr Kompromisse, die du in deinem Leben eingegangen bist. Befreie dich davon!

Mit jedem Kompromiss, von dem du dich verabschiedest, kehrst du mehr zurück zu dir. Ich spreche hier von den Kompromissen, die bedeutenden Einfluss haben auf dein Leben (das Klo putzen darfst du weiterhin 😉 ) Mache keine Ausbildung, nur weil dir das sinnvoll erscheint. Mache dann eine Ausbildung, wenn du wirklich Leidenschaft dafür spürst. Trete keine Stelle an, weil sie dir Geld bringt. Du wirst auch mit deiner Einzigartigkeit zu Geld kommen, denn genau diese Einzigartigkeit ist gefragt! Es ist kein Zufall, dass du so bist, wie du bist!

Wie ging es bei mir weiter?

Heute bin ich enorm dankbar über die eingangs erwähnte Krise. Ohne sie hätte ich mich wohl nie auf den Weg gemacht. Hätte meinen Traum, mich selbständig zu machen, nicht weiterverfolgt. Denn Ende Monat einfach Lohn zu erhalten, ist halt schon bequem. Und ich bin bequem, wie jeder andere Menschen auch.

Niemals hätte ich entdeckt, dass ich das Leben tatsächlich zum Spiel machen und von allen Vorteilen des Spiels profitieren kann. Um keinen Preis möchte ich zurückkehren!

Mittlerweile bin ich zu hundert Prozent selbständig. Das war kein einfacher, kein bequemer Weg. Der Weg wird immer weiter führen, keine Ahnung wohin.

Entscheidend ist eines: Auf diesem spielerischen Weg entdecke ich genau das, was in mir angelegt ist. Das fühlt sich erfüllend an! Das ist mein Lebenssinn!

Über den Autor

Nando Stöcklin

studierte Ethnologie und promovierte in Pädagogik. Beruflich beschäftigte er sich als Forschungsmitarbeiter mit den Auswirkungen der digitalen Transformation und mit Spielen. Er ist überzeugt, dass ein natürliches, gesundes Leben sich genauso magisch anfühlt wie Spielen. Mithilfe des von ihm entwickelten Magie-Mischpults hilft er als Magie-Doktor Menschen zurück in das natürliche Spiel des Lebens.

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